Angehörige & Kinder

 
  • Wenn ein Mensch psychisch erkrankt, verändert sich nicht nur sein eigenes Leben, sondern auch das seiner Angehörigen. Partnerinnen, Partner, Eltern, Geschwister und vor allem Kinder erleben, dass der vertraute Mensch anders reagiert, sich zurückzieht oder weniger verlässlich wirkt. Angehörige tragen Sorgen, übernehmen zusätzliche Aufgaben und fühlen sich oft hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch zu helfen und dem Bedürfnis nach Entlastung. Viele entwickeln Schuldgefühle: „Mache ich genug?“, „Bin ich verantwortlich für die Krankheit?“ – obwohl klar ist, dass psychische Erkrankungen niemandes Schuld sind. Für Kinder ist die Situation besonders schwierig, weil sie die Veränderungen zwar wahrnehmen, diese aber nicht einordnen können. Sie brauchen klare Erklärungen und verlässliche Strukturen, um sich sicher zu fühlen.

    Eine der größten Herausforderungen für Angehörige ist das Gefühl, mit der Situation allein zu sein. Viele vermeiden es, offen über die Krankheit zu sprechen, aus Angst vor Stigmatisierung oder weil sie keine Worte finden. Doch gerade das Schweigen verstärkt die Belastung. Deshalb ist es wichtig, Entlastung zu suchen, eigene Bedürfnisse nicht zu vergessen und Unterstützungsangebote anzunehmen.

  • Angehörige erleben oft eine dauerhafte Doppelbelastung. Einerseits wollen sie den Erkrankten unterstützen, andererseits müssen sie ihren eigenen Alltag bewältigen. Das führt häufig dazu, dass sie ihre eigenen Bedürfnisse hinten anstellen. Besonders Partnerinnen und Partner geraten in eine schwierige Rolle: Sie sind gleichzeitig emotionale Stütze, organisieren Arzttermine, kümmern sich um finanzielle Dinge oder übernehmen Aufgaben im Haushalt, die der erkrankte Mensch nicht mehr schafft. Dabei bleibt oft wenig Raum für die Partnerschaft selbst. Nähe und Intimität verändern sich, Gespräche drehen sich fast nur noch um die Krankheit, und gemeinsame Freizeitaktivitäten treten in den Hintergrund.

    Auch Eltern, die ein erwachsenes Kind mit psychischer Erkrankung begleiten, sind stark belastet. Sie leben mit der Sorge um die Zukunft ihres Kindes und erleben zugleich, dass ihre eigenen Kräfte mit dem Alter nachlassen. Geschwister fühlen sich oft unsichtbar – einerseits belastet durch die Krankheit in der Familie, andererseits zurückgestellt, weil sich die Aufmerksamkeit auf den Erkrankten konzentriert.

    Hinzu kommen Gefühle der Hilflosigkeit und Erschöpfung. Viele Angehörige haben Angst vor Krisen, Rückfällen oder Krankenhausaufenthalten. Manche entwickeln selbst Symptome wie Schlafstörungen, Ängste oder Depressionen, weil sie ständig unter Anspannung stehen. Auch soziale Kontakte leiden: Freunde ziehen sich zurück oder Angehörige haben keine Zeit und Kraft mehr, ihre Beziehungen zu pflegen. Das Risiko der Isolation ist hoch.

    Eine große Gefahr liegt darin, dass Angehörige ihre eigenen Grenzen übersehen. Sie übernehmen „rund um die Uhr“ Verantwortung und merken erst spät, dass sie selbst nicht mehr können. Dabei ist es wichtig, Belastungen nicht nur wahrzunehmen, sondern auch zu akzeptieren, dass niemand dauerhaft alles allein tragen kann. Unterstützung anzunehmen, sei es durch Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen oder konkrete Hilfen wie Entlastungsdienste, ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Selbstfürsorge. Nur so können Angehörige langfristig Kraft behalten.

  • Kinder sind besonders betroffen, wenn ein Elternteil psychisch erkrankt. Schon kleine Kinder spüren die Veränderung in der Stimmung und im Verhalten – auch wenn Erwachsene glauben, sie würden „nichts merken“. Wenn die Mutter depressiv ist und viel im Bett liegt oder der Vater in einer manischen Phase unberechenbar handelt, fühlen Kinder, dass etwas nicht stimmt. Sie haben jedoch meist keine Erklärung und entwickeln eigene Deutungen. Häufig entstehen Schuldgefühle: „Mama ist traurig, weil ich nicht brav war“ oder „Wenn ich mich genug anstrenge, wird Papa wieder gesund“. Solche Gedanken sind für Kinder sehr belastend und können ihre eigene Entwicklung beeinträchtigen.

    Viele Kinder übernehmen unbewusst Verantwortung. Sie kümmern sich um jüngere Geschwister, erledigen Aufgaben im Haushalt oder versuchen, den erkrankten Elternteil zu entlasten. Sie wachsen zu schnell in eine Rolle hinein, die eigentlich nicht ihre ist – Fachleute sprechen hier vom „Parentifizierung“. Andere Kinder reagieren mit Rückzug, Schweigen oder auffälligem Verhalten, weil sie nicht wissen, wohin mit ihren Gefühlen. In der Schule können Konzentrationsprobleme, Leistungseinbrüche oder soziale Schwierigkeiten auftreten.

    Für Kinder ist es entscheidend, eine klare und altersgerechte Erklärung zu bekommen. Sie müssen wissen: Die Krankheit des Elternteils ist keine Strafe, keine Schuld und nicht ihre Verantwortung. Ein einfacher Satz kann schon entlasten: „Papa ist krank, er braucht Hilfe von Ärzten, aber du bist nicht schuld.“ Neben Erklärungen sind verlässliche Strukturenwichtig: feste Bezugspersonen, Rituale, klare Tagesabläufe. Kinder brauchen Menschen, die da sind und Sicherheit vermitteln, auch wenn es dem erkrankten Elternteil schlecht geht.

    Besonders hilfreich sind externe Unterstützungssysteme: Großeltern, Paten, Nachbarn, aber auch Fachstellen wie Erziehungsberatungsstellen oder spezielle Gruppen für Kinder psychisch kranker Eltern. Dort treffen Kinder andere, die ähnliche Erfahrungen machen, und spüren: „Ich bin nicht allein.“ Dieser Austausch kann Scham abbauen und neue Ressourcen eröffnen.

    Wenn Kinder langfristig keine Unterstützung bekommen, steigt das Risiko, dass sie selbst psychische Probleme entwickeln. Deshalb ist es so wichtig, dass Familien frühzeitig Hilfen annehmen – nicht nur für den erkrankten Elternteil, sondern auch für die Kinder.

    Praktische Übungen & Hilfen

  • Für Angehörige ist es ein wichtiger Schritt, über die eigene Belastung zu sprechen. Schon ein Gespräch mit einer vertrauten Person kann Druck mindern. Beratungsstellen für Angehörige bieten zusätzlich professionelle Unterstützung und konkrete Strategien, wie man mit Überforderung umgehen kann. Selbsthilfegruppen ermöglichen den Austausch mit anderen in ähnlicher Situation – das Gefühl, nicht allein zu sein, wirkt oft wie eine Erleichterung.

    Auch kleine Auszeiten sind entscheidend. Angehörige sollten bewusst Zeit für sich einplanen – einen Spaziergang, ein Treffen mit Freunden, ein Telefonat oder eine Stunde für ein Hobby. Diese Momente sind kein Luxus, sondern notwendig, um langfristig stabil zu bleiben.

    Für Kinder sind feste Rituale im Alltag wichtig. Das können gemeinsame Mahlzeiten, ein Vorleseritual am Abend oder feste Spielzeiten sein. Sie geben Halt und Normalität. Eltern können entlastet werden, wenn sie weitere Bezugspersonen einbeziehen: Großeltern, Freunde oder Einrichtungen wie Schule und Kita. Professionelle Angebote wie Erziehungsberatungsstellen, Familienhilfe oder Gruppen für Kinder psychisch kranker Eltern sind wertvolle Ressourcen.

    Das Ziel ist nicht, alle Belastungen zu vermeiden – das ist unmöglich. Entscheidend ist, dass Angehörige und Kinder spüren, dass sie nicht allein sind, dass ihre Belastung gesehen wird und dass es Wege gibt, Unterstützung zu finden. Entlastung zu suchen bedeutet nicht, den Erkrankten im Stich zu lassen, sondern für die ganze Familie langfristig Stabilität zu schaffen.

 

Notfall-Hinweis

⚠️ Bei akuter Suizidgefahr:
Notruf 112 oder Telefonseelsorge: 0800 111 0 111 (kostenlos, rund um die Uhr)