Krisen bewältigen
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Krisen gehören zum Leben mit psychischen Erkrankungen dazu. Sie treten oft unerwartet auf und können sowohl für Betroffene als auch für Angehörige sehr belastend sein. Eine Krise bedeutet, dass die bisherigen Bewältigungsstrategien nicht mehr ausreichen und die Situation als überwältigend erlebt wird. Typische Anzeichen sind starke Verzweiflung, Unruhe, Panik oder Suizidgedanken. Auch für Angehörige sind Krisen extrem herausfordernd: Die Sorge um den erkrankten Menschen, die Angst vor falschen Entscheidungen und das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren, erzeugen große Unsicherheit.
Wichtig ist, eine Krise nicht als persönliches Versagen zu sehen. Krisen sind Teil des Krankheitsverlaufs und können durch Überforderung, Stress, Veränderungen oder Rückfälle ausgelöst werden. Entscheidend ist, rechtzeitig zu erkennen, wann sich eine Krise anbahnt, und zu wissen, welche Schritte dann notwendig sind. Ein guter Krisenplan hilft, Orientierung zu behalten und handlungsfähig zu bleiben.
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n einer akuten Krise ist es entscheidend, Ruhe zu bewahren und klare Schritte einzuleiten. Das Wichtigste ist, Sicherheit herzustellen – sowohl für die betroffene Person als auch für das Umfeld. Wenn Suizidgedanken im Raum stehen oder eine Selbst- oder Fremdgefährdung erkennbar ist, darf nicht gezögert werden: In solchen Situationen ist es notwendig, sofort Hilfe zu holen – durch den Krisendienst, den Notarzt oder die Polizei.
Auch wenn die Situation nicht lebensbedrohlich wirkt, ist es hilfreich, auf Signale zu achten: starker Rückzug, Schlaflosigkeit, Aggressivität, Verwirrtheit oder das Abbrechen von Kontakten können Anzeichen sein, dass jemand dringend Unterstützung braucht. Angehörige sollten in solchen Momenten ruhig und klar sprechen. Lange Diskussionen oder Vorwürfe verschärfen die Situation nur. Besser sind kurze, beruhigende Sätze wie: „Ich sehe, dass es dir gerade sehr schlecht geht. Wir holen jetzt Unterstützung.“
Hilfreich ist ein vorher erstellter Krisenplan. Darin können wichtige Informationen festgehalten werden: Welche Symptome deuten auf eine Krise hin? Welche Maßnahmen helfen? Wen soll man anrufen – behandelnde Ärztin, Klinik, Krisendienst? Welche Medikamente dürfen im Notfall eingesetzt werden? Ein schriftlicher Plan, den sowohl Betroffene als auch Angehörige kennen, gibt Sicherheit und verhindert, dass in der akuten Situation alles von Neuem überlegt werden muss.
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Zur Krisenbewältigung gehört nicht nur das Handeln im Ernstfall, sondern auch die Vorbereitung im Alltag. Betroffene können gemeinsam mit Fachkräften oder Angehörigen Frühwarnzeichen erarbeiten – kleine Veränderungen im Verhalten oder Befinden, die auf eine kommende Krise hindeuten. Schon das Bewusstsein für diese Signale kann helfen, früh gegenzusteuern. Angehörige können lernen, wie sie angemessen reagieren: zuhören, Ruhe ausstrahlen, Hilfe organisieren, ohne zu überfordern.
Im Alltag entlasten klare Absprachen: Wer darf im Notfall angerufen werden? Wo liegen wichtige Telefonnummern? Wer kümmert sich um Kinder oder Haustiere, falls eine Krankenhausaufnahme nötig wird? Solche praktischen Vorkehrungen nehmen viel Angst vor dem Ernstfall.
Neben diesen organisatorischen Hilfen sind Entspannungstechniken oder Notfallübungen nützlich. Dazu gehören einfache Atemübungen, die helfen, in Panikmomenten ruhiger zu werden, oder kleine Ablenkungstechniken wie das Zählen von Dingen im Raum, das Kneten eines Balls oder das bewusste Spüren des Bodens unter den Füßen. Solche Übungen sind keine Lösung für die Krise selbst, können aber helfen, die akute Anspannung zu verringern, bis professionelle Hilfe eintrifft.
Langfristig wirken auch Netzwerke stabilisierend. Angehörige sollten sich nicht scheuen, Beratungsstellen, Krisendienste oder Selbsthilfegruppen einzubeziehen. Niemand muss Krisen allein durchstehen. Das Ziel ist, Schritt für Schritt Sicherheit zu gewinnen: zu wissen, was zu tun ist, wo Hilfe verfügbar ist und dass es Wege gibt, die Krise zu überstehen.
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1) Zweck & Einsatz – wie du den Plan nutzt
Krisen treten oft plötzlich auf: starke Verzweiflung, Panik, manische Hochspannung, psychotische Symptome, Flashbacks, massive Unruhe oder Orientierungslosigkeit. Der Notfallplan hilft dir und deinem Umfeld, schnell, ruhig und in fester Reihenfolge zu handeln. Er bündelt: Frühwarnzeichen, Sofortmaßnahmen, Ansprechpersonen, Deeskalation, medizinische Kontakte und die ersten Schritte nach der Krise.
Idee: Du füllst die individuellen Teile (Kontakte, Medikamente, Orte, Absprachen) vorab aus und aktualisierst sie regelmäßig.2) Ampelmodell: Frühwarnzeichen & Handlungsstufen
Grün – Stabil: Alltag läuft, leichte Symptome sind bekannt und handhabbar.
Gelb – Warnzone: Veränderungen fallen auf (Schlaf, Anspannung, Grübeln, Rückzug, Reizbarkeit, Realitätszweifel). → Früh handeln: Entlastung, Kontakte aktivieren, Selbsthilfetechniken nutzen, Termine vorziehen.
Rot – Akut: Selbst- oder Fremdgefährdung, starke Verzweiflung, schwere Panik, psychotische Entgleisung, Delir/Orientierungsverlust. → Sofortmaßnahmen und professionelle Hilfe.Hinweis: Trage deine persönlichen Frühwarnzeichen ein (z. B. 3 typische Signale bei dir).
3) Schritt-für-Schritt im Akutfall (ROT)
Sicherheit herstellen
Gefährliche Gegenstände entfernen, Fenster/Türen sichern, Kinder/Haustiere betreuen lassen, nicht alleine lassen. Ruhig bleiben, kurz & klar sprechen.Kurz einschätzen
Gibt es Hinweise auf Suizid, schwere Selbstverletzung, Aggression, schwere Verwirrtheit/Delir, Atem-/Kreislaufprobleme, Intoxikation?
→ Ja/unsicher: 112 (Notruf).
→ Keine akute Gefahr, aber ärztlich nötig: 116 117 (ärztlicher Bereitschaftsdienst) oder behandelnde Praxis/Klinik anrufen.Deeskalation & Begleitung
Ruhige Stimme, einfache Sätze, Ich-Botschaften („Ich bin da“). Keine Diskussionen, keine Vorwürfe, kein Drängen. Reize reduzieren (Licht, Lärm, Publikum).Verordnete Akutmaßnahmen (wenn vorhanden)
Nur Medikamente verwenden, die ärztlich vorher für Krisen freigegeben wurden (Name, Dosis, max. Häufigkeit notieren). Keine Eigenexperimente.Hilfe aktivieren
Krisendienst/Behandler:in/Betreuer:in kontaktieren, vereinbarte Vertrauensperson informieren, ggf. Transport organisieren (Taxi/RTW je nach Lage).Dokumentieren (kurz)
Uhrzeit, Auslöser/Signale, Maßnahmen, wen du erreicht hast, verabreichte Akutmedikation. Das hilft bei der Nachbesprechung.
Wichtige Nummern:
112 – Akuter Notfall (Selbst-/Fremdgefährdung, schwere Verwirrtheit, Intoxikation).
116 117 – Ärztlicher Bereitschaftsdienst (medizinisch nötig, nicht lebensbedrohlich).
(Trage hier regionale Krisendienste/Klinik ein.)
4) Deeskalationsleitfaden (kurz & wirksam)
Do: ruhig bleiben, kurze Sätze, langsame Bewegungen, Abstand respektieren, gemeinsame Lösung anbieten („Wir holen jetzt Hilfe“).
Don’t: provozieren, diskutieren, logische Beweise gegen Wahnerleben führen, drohen, bedrängen, ironisieren.
5) Spezifische Hinweise je Krankheitsbild (kompakt)
Depression/Suizidalität: Ernst nehmen, direkt & behutsam fragen („Denkst du an Suizid?“). Bei konkreten Plänen → 112. Keine Schuldzuweisungen, nicht allein lassen.
Bipolare Manie/Hypomanie: Reize reduzieren, klare Grenzen („Kein Auto fahren, keine Verträge unterschreiben“), Vertrauensperson/Behandler:in kontaktieren; ggf. Notruf.
Psychose/Paranoide Symptome: Streit über Inhalte vermeiden; Sicherheit & Orientierung (Name, Ort, Zeit) anbieten; ruhiger Rückzugsort; Hilfe aktivieren.
Angst/Panik: Atmung anleiten (kurz ein, lang aus), sichere Umgebung, Reizreduktion; nach Abklingen fachliche Abklärung.
PTBS/Flashback/Dissoziation: Sanftes Grounding (5 Dinge sehen/fühlen/hören), gegenwärtige Orientierung („Du bist hier, heute ist …, ich bin bei dir“), Körperwahrnehmung (Fußboden spüren).
Autismus (Overload/Meltdown): Reize minimieren, klare, wörtliche Sprache, Rückzugsort; körperliche Berührung nur, wenn ausdrücklich gewünscht; bekannte Coping-Tools reichen.
Demenz/Delir/Unruhe: Sanfte Ansprache, vertraute Reize (Name, Foto, Lieblingsmusik), Sturzrisiko senken; bei plötzlicher Verwirrtheit/Delir ärztlich abklären (Infekt, Medikamente).
Sucht/Intoxikation/Entzug: Atem/Kreislauf prüfen, bei Bewusstseinsstörung/krampfartigen Zuständen/unklarer Substanz → 112. Kein moralischer Druck, medizinische Hilfe priorisieren.
Zwangsstörung (akute Angst): Zwang nicht zwingen zu unterlassen; Sicherheit & Atmung, spätere therapeutische Planung.
6) Nach der Krise: 24-/72-Stunden-Plan
Erste 24 h: Ruhe, sichere Umgebung, kurze Nachbesprechung („Was hat geholfen?“), Basisorganisatorik klären (Kinder, Arbeit, Medikamente), ggf. Angehörige entlasten.
Bis 72 h: Kontakt zu Behandler:in/Krisendienst, Medikamentenplan prüfen, Auslöser/Frühwarnzeichen festhalten, nächste Termine setzen, Entlastung planen (Tagesstruktur, Schlaf, Essen, Bewegung).
Dokumente aktualisieren: Kontakte, Akutmedikation, Absprachen im Plan anpassen.
7) Notfallordner – was griffbereit sein sollte
Kontaktliste: Name, Funktion, Telefon (Behandler:in, Krisendienst, Betreuer:in, Vertrauensperson, Arbeitgeber/Schule – wenn vereinbart).
Medizinisches Blatt: Diagnosen (optional), Akutmedikation (Name/Dosis), Allergien, relevante Vorerkrankungen.
Rechtliches: Vorsorgevollmacht/Betreuerausweis, Schweigepflichtentbindungen, Patientenverfügung (falls vorhanden).
Praktisches: Schlüsselregelung, Kinder-/Haustier-Plan, Transportoptionen, Kliniktasche-Checkliste
8) Vorlage zum Ausfüllen (Website-Text; später App-Felder)
Meine Frühwarnzeichen (3–5):
……………………………………………………………………………………………………
……………………………………………………………………………………………………Was mir früh hilft (Gelb):
(Entlastung, Atemübung, Spaziergang, Telefonat, Musik, ruhiger Raum)
……………………………………………………………………………………………………Akute Maßnahmen (Rot) – persönlich hilfreich:
……………………………………………………………………………………………………Verordnete Akutmedikation (nur nach ärztlicher Absprache):
Name – Dosis – max./Tag – Besonderheiten
……………………………………………………………………………………………………Kontaktkette in der Krise (Reihenfolge):
………………………………… Tel ……………………
………………………………… Tel ……………………
………………………………… Tel ……………………
Klinik/Anlaufstelle:
Name/Adresse ……………………………………………………… Tel ……………………Kinder/Haustiere – wer übernimmt im Notfall?
……………………………………………………………………………………………………Wichtige Hinweise für Helfende (1–2 Sätze):
(Was beruhigt? Was vermeiden?)
……………………………………………………………………………………………………9) Pflege & Aktualisierung
Lege fest, wer den Plan mit dir alle 3–6 Monate kurz durchgeht (z. B. Behandler:in, gesetzliche Betreuung, Vertrauensperson). Alte Versionen entsorgen, aktuelle Version sichtbar ablegen (z. B. Innenseite eines Schranks) und digital sichern.
10) Häufige Fragen – kurz erklärt
Muss ich immer 112 wählen?
Wenn Gefahr besteht oder du unsicher bist: ja. Sicherheit geht vor.
Darf ich Krisenmedikamente geben?
Nur, wenn sie vorher verordnet und besprochen wurden. Sonst keine Experimente.
Was sage ich bei Psychose/Flashback?
Einfach, ruhig, gegenwartsbezogen. Nicht diskutieren, Schutz & Orientierung anbieten.
Notfall-Hinweis
⚠️ Bei akuter Suizidgefahr:
Notruf 112 oder Telefonseelsorge: 0800 111 0 111 (kostenlos, rund um die Uhr)